Deutsch-polnisches kirchengeschichtliches Seminar auf dem „Heiligenhof“

 

Vom 21. bis 25. Mai trafen je eine Gruppe deutscher und polnischer Studenten zu einem ge-meinsamen Seminar „Heilige als Brückenbauer zwischen den Völkern“ in Bad Kissingen zu-sammen.


Die polnischen Teilnehmer entstammen dem Umfeld des Papst-Johannes-Paul-II.-Gedenkzentrums in Warschau, die Deutschen studieren größtenteils in München. Organisiert wurde die Tagung vom Studienleiter der Akademie Mitteleuropa, Gustav Binder, Bad Kissin-gen, die inhaltliche Leitung lag bei Prof. Dr. Stefan Samerski und Dr. Raimund Paleczek (beide München). Die Reisekosten für die Polen hat dankenswerterweise Renovabis, das Hilfswerk der deutschen Katholiken für Osteuropa, übernommen.Die Völker verbindende Funktion von Seligen und Heiligen der katholischen Kirche war An-lass ein grenzüberschreitendes Seminar durchzuführen. Ziel der Veranstaltung war es, anhand von Typologisierungen und der Verehrungsgeschichte der von der Kirche offiziell verehrten Seligen und Heiligen mit Schwerpunkt auf dem deutschen und polnischen Sprachraum ge-meinsame geistig-kulturelle Wurzeln vor allem zwischen Deutschen und Polen herauszuarbei-ten. Die beachtliche deutsche Sprachkompetenz der polnischen Studierenden mit der Präsen-tation von fünf Biographien trug entscheidend zum Gelingen des Seminars bei. Die Auswahl umfaßte die Darstellung und Diskussion von 18 Biographien, die einen Zeitraum von 1700 Jahren abdeckten (Hl. Antonius der Einsiedler bis Kardinal von Galen). Als Ordnungshilfe wurden die Heiligen und Seligen in sechs Wirkungstypen eingeteilt, denen die Arbeitseinhei-ten entsprachen. In den Diskussionen wurden die seit Papst Benedikt XIV. geltenden zwei Kategorien für Heilige („Bekenner“ oder „Märtyrer des Glaubens“) und der seit 1983 gelten-den Regel, dass für die Gruppe der Bekenner der Nachweis eines Wunders gilt, voll berück-sichtigt. Grundsätzlich erfüllen fast alle behandelten Personen die Funktion von Brückenbau-ern. Im Rahmen seiner „Europatheologie“ erhob Johannes Paul II. eine Vielzahl von Personen zur Ehre der Altäre und sah in ihnen konkrete zeitgenössische Vorbilder für eine Neuveranke-rung Europas im Christentum.

Königin Richeza-Rixa von Polen (995-1063) aus dem Pfalzgrafengeschlecht der Ezzonen war eine Enkelin Kaiser Otto II. und verband das fränkisch-lothringische mit dem jungen polni-schen Christentum. Der aus dem oberschlesischen Adelsgeschlecht der Konski stammende Dominikaner Hyazinth (1183-1257), der als Namenspatron in Polen bis heute überaus beliebt ist (Hyazinth = Jacek; 17.8.), spannt mit seinem Werk den Bogen von West- nach Osteuropa. Theologisch ausgebildet in Bologna und in Paris, wurde er 1219 Missionar in Litauen, Ukrai-ne und in Ostpreußen, wo er Dominikanerniederlassungen gründete. Seine Heiligsprechung 1594 und die Ernennung zum Patron Litauens 1686 ist im Zusammenhang mit der Gegenre-formation und des Sieges über die Feinde des Glaubens (topos der erhobenen Monstranz vor den Feinden) zu deuten. Interessant ist die Neubelebung des Verehrungskultes der Hedwig von Schlesien (1174-1243) in den 1920er Jahren im Zusammenhang mit den zunehmenden nationalen Differenzen in Schlesien. Eine Schnittmenge zu dieser Gruppe bilden die im drit-ten Block behandelten Ordensheiligen. Aus dieser Gruppe ragt der hl. Antonius der Einsiedler (251-356) heraus, da er eine Scharnierfunktion im Übergang der bis dahin ausschließlich als Märtyrer verehrten Heiligen zu den Heiligen des Alltages darstellt. Mit Stanislaus Kostka (1550-1568) hat sich der Jesuitenorden in erkennbarer Analogie zu Aloysius von Gonzaga sozusagen einen Heiligen als Werbeträger geschaffen, dessen Jugend und Unverderbtheit für die Gegenreformation eingesetzt wurde. Padre Pio da Pietrelcina (1887-1968) ist ein typischer Heiliger des Lokalkolorits (Süditalien), der seine rasche Selig- und Heiligsprechung wohl nicht zuletzt der persönlichen Begegnung mit dem Seminaristen Karol Wojtyła 1947 ver-dankt.

In einem weiteren Block wurden Heilige der caritas – also der tätigen Nächstenliebe – thema-tisiert. Während Elisabeth von Thüringen als tragische Heilige für die Familie und die Armen eine lebendige Verehrung in ganz Europa bis heute genießt, ist Vinzenz von Paul (1581-1660) ein eher stilisierter Heiliger als katholische Antwort auf die Einflüsse des kirchenfernen Rati-onalismus und der beginnenden Aufklärung zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Mit der Vereh-rung des Vinzenz von Paul wurde die Pflege der Kranken als Vorbild für katholisches Glau-bensleben propagiert.

Die ausführliche Diskussion zu Karl I. von Österreich (1887-1922) führte zu der Erkenntnis, dass Johannes Paul II. mit diesem politischen Seligen ein weiteres Vorbild für die christliche Verankerung eines räumlich größer verstandenen Europas geschaffen hat, als er weitläufig mit der Europäische Union konnotiert wird. Durchaus ambivalente Erkenntnisse brachte die Erörterung des fünften Blockes der „Märtyrer der Politik“. Als einziger dieser Reihe ist im strengen Sinn des Wortes Märtyrer Edith Stein (1891-1942) für ihren Glauben als „christiani-sierte Tochter Israels“ gestorben. Maximilian Kolbe (1894-1941) verbindet wie auch Stein mit seinem biographischen Hintergrund (der Vater war deutschstämmig) Deutsche und Polen. Er erfüllte zwar nicht die strengen Richtlinien des Märtyrertums, wurde aber aufgrund seines das Martyrium bewusst in Kauf nehmenden Todes für die Nächstenliebe nach Einwirken Jo-hannes Pauls II. als Märtyrer und nicht als Bekenner kanonisiert. Sein 1917 gegründetes Mis-sionswerk der marianischen Ritterkongregation „Militia immaculata“ ist dagegen wegen sei-ner nachweislich antisemitischen Tendenzen problematisch.

Am meisten Probleme, wie auch die Diskussion gezeigt hat, macht der jüngste Selige aus Deutschland, Kardinal Clemens August von Galen (1878-1946). Er gilt wohl als Vorbild da-für, dass zu einem Patriotismus in christlichem Verständnis das Erkennen seiner Grenzen und seines Missbrauches unabdingbar ist. Anfangs loyal zur NS-Regierung prangerte Galen spä-testens 1934 die kirchenfeindliche Politik der Nationalsozialisten an, wie seine Berichte an das Staatssekretariat (Pacelli) nach Rom zeigen, die seit nach Öffnung der Archive für das Pontifikat Pius XI. 2003 zugänglich sind. Dennoch bleibt von Galen umstritten, da er ein Be-fürworter des Krieges war, den er als Fortsetzung und Wiedergutmachung für den verlorenen Ersten Weltkrieg und die Demütigung Deutschlands durch die Versailler Verträge empfand. Es gibt kein Zeugnis der Kritik etwa an dem Polenfeldzug 1939. Allerdings hat er 1941 mit den berühmten Euthanasiepredigten, deren Texte über Soldaten geheim verbreitet wurden und so auch zum jungen Zwangsarbeiter Wojtyła kamen, das Martyrium in Kauf genommen, ja sogar gewollt. Er ist somit auch Symbol für das „andere“, antinazistische Deutschland wäh-rend des Weltkrieges.

In einem letzten Block wurden die klassischen Brückenbauerheiligen Kyrill und Method so-wie – in besonderer Hinsicht auf Polen – Adalbert von Prag (956-997) behandelt. Das Wirken der beiden Slawenapostel Konstantin-Kyrill (827-869) und Method (815-885) steht für die in der römischen Kirche verwurzelten Mission in Pannonien sowie für die Einführung der Volkssprache in die Liturgie neben den drei so genannten Ursprachen der Kirche Hebräisch, Griechisch und Latein. Von entscheidender Bedeutung ist die Translation der Gebeine des hl. Papstes Clemens I. durch die beiden Brüder von der Krim nach Rom 867. Damit sind sie Symbol für die kulturell-geistige Verbindung zwischen West- und Osteuropa. Vojtěch-Adalbert ist ebenfalls ein „Klassiker“ unter den Heiligen mit Völker verbindender Funktion. Über seine Eltern war er Angehöriger des tschechischen Hochadels (Slavnikiden), in der Magdeburger Missionsschule verband ihn die Freundschaft mit seinem Altersgenossen und Mitschüler Kaiser Otto II. Adalbert – so Vojtěchs Firmname nach Erzbischof Adalbert von Magedeburg – wurde 982 zweiter Bischof von Prag und 993 Begründer des benediktinischen Mönchtums in Böhmen (Kloster Břevnov in Prag), Apostel der Preußen und Gnesens und Gründer der katholischen Kirchenhierarchie in Polen (Adalberts Bruder Radim-Gaudentius wurde 1000 erster Erzbischof von Gnesen) sowie Ungarn, wo im Jahre 1001 sein Schüler und erster Abt von Břevnov, der Mönch Anastas-Astrik, erster Erzbischof von Gran-Esztergom wurde.

Das Programm wurde durch einen Besuch der heiligen Messe in der Herz-Jesu-Kirche und zum Kardinal-Döpfner-Museum in Bad Kissingen sowie nach Fulda abgerundet. Kardinal Döpfner gilt als einer der Motoren der deutsch-polnischen Versöhnung in Folge des Brief-wechsels beider Bischofskonferenzen 1965 am Ende des II. Vatikanum. Für die polnischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer war eine Fotografie, die die Kardinäle Wojtyła und Döpfner nebeneinander mit Papst Paul VI. zeigt, eine besondere Freude. Biographische Parallelen wurden festgestellt: einfache Herkunft, die Eltern früh verloren, sehr jung Bischof und Kardi-nal geworden, hohe kommunikative Kompetenz, Charisma, Heimatverbundenheit. In Fulda wurde das Grab des Apostels der Deutschen, Winfried-Bonifatius (673-754) besucht. Seine Missions- und Gründungstätigkeit als Kloster- und Bistumsgründer ist Grundlage für die kul-turell-geistige Basis der Länder Ostmitteleuropas (Deutschland, böhmische Länder, Polen, Ungarn).

Dr Raimund Paleczek

 

 

Opublikowano 04.11.2007

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